Eine konstruktive Fehlerkultur: Warum sie ein Wettbewerbsvorteil ist und erste Impulse für ihre Etablierung

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„Wir haben hier eine gute Fehlerkultur.“

Das ist eine der Aussagen, die eigentlich jedes Unternehmen über sich trifft. Und (zumindest nach meiner Erfahrung) eine der diejenigen, wo es eine sehr große Diskrepanz zwischen definierten bzw. kommunizierten und tatsächlich gelebten Werten gibt. Denn dass eine Organisation Fehlern gegenüber tatsächlich aufgeschlossen ist, sie als Möglichkeit für Lernen und Weiterentwicklung sieht und den Mitarbeitenden, die den Fehler gemacht haben, diese nicht vorgeworfen werden – das kommt nicht so häufig vor.

Aber warum eigentlich? Was macht es uns so schwer, Fehler zumindest als normal oder sogar als hilfreich anzusehen? Warum versuchen viele Mitarbeitende und Führungskräfte nach wie vor, Fehler zu vertuschen – und warum haben wir das Bedürfnis, die Schuld für einen gemachten Fehler schnell weg von uns hin zu jemand anderem zu schieben?

Was ist dein erster Gedanke, wenn dir auffällt, dass du einen Fehler gemacht hast?

Der Umgang mit Fehlern ist kulturell geprägt

Der Umgang mit Fehlern ist nicht überall auf der Welt gleich und hängt stark von der Kultur ab, in der man sich bewegt. Während beispielsweise die Menschen im anglo-amerikanischen Raum eher die Auffassung „fail fast, fail often, fail forward“ vertreten, existiert in der deutschen Kultur ein Streben nach Perfektion und Korrektheit. Dass Fehler nichts Positives sind, lernen wir spätestens in der Schule und diese Grundhaltung zieht sich dann oftmals durch unser ganzes Leben.

Der Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Michael Frese hat in breit angelegten Studien die Fehlerkultur in insgesamt 61 Ländern weltweit miteinander verglichen. Deutschland landet dabei auf Platz 60 – noch intoleranter Fehlern gegenüber ist laut dieser Erhebung lediglich Singapur.

Kultur ist immer etwas, was nicht von heute auf morgen verändert werden kann. Und was es auf jeden Fall braucht, um solch tiefgreifende Veränderungen zu incentivieren, sind attraktive Zielbilder. Werfen wir also einen Blick darauf: Was haben wir davon, eine konstruktive und tolerante Fehlerkultur zu entwickeln?

Fehler machen ist menschlich. Ich finde, aus diesem Satz lässt sich der erste große Vorteil ableiten, den eine konstruktive Fehlerkultur mit sich bringt: Wenn man Mitarbeitende für ihre Fehler nicht abstraft, dann verhält man sich menschlich. Das ist zwar nur indirekt ein wirtschaftlicher Benefit, auf jeden Fall aber ein moralischer.

Dazu kommen aber auch handfeste wirtschaftliche Vorteile:

  • Prozessverbesserung: Fehler offenbaren Schwachstellen in Prozessen und Strukturen. Je früher und offener über Fehler gesprochen wird, desto schneller können Verbesserungen realisiert werden.
  • Innovation: Mitarbeitende, die Fehler machen „dürfen“, trauen sich auch über den Tellerrand zu schauen und sich auszuprobieren. Nur so können neue Ideen heranreifen und Innovationen entstehen.
  • Entwicklung zu Expert:innen: Über ausprobieren, scheitern, wieder probieren und Erfolg haben eignen sich Mitarbeitende kontinuierlich neues Wissen an. Sie lernen dazu und werden zu Expert:innen auf ihrem Gebiet.  
  • Wissensmanagement: Wissen ist Macht, heute mehr denn je. Und in vielen Köpfen ist mehr Wissen als in wenigen. Organisationen profitieren davon, wenn Mitarbeitende ihr Wissen teilen und zwar auch dann, wenn die Ideen noch nicht ganz ausgereift ist. Damit das passiert, darf aber keine Angst herrschen etwas „Falsches“ zu sagen – auch das gehört zu einer konstruktiven Fehlerkultur.

Neben den Faktoren, die sich direkt wirtschaftlich auswirken, gibt es natürlich noch die „menschlichen“ Vorteile: Mitarbeitende, die keine Angst davor haben müssen, Fehler einzugestehen, werden ihre Arbeit zufriedener und motivierter tun. Dadurch haben sie eine höhere Chance, gesund zu bleiben. Und: sie sind vermutlich auch effizienter, weil sie ihre Ressourcen nicht auf Selbstschutz verwenden müssen, sondern sich auf ihre Arbeit fokussieren können. Und eigentlich sind das alles dann ja doch wieder wirtschaftliche Vorteile… 😉 

Wie kann man eine konstruktive Fehlerkultur etablieren?

Was können wir nun tun, um eine konstruktive Fehlerkultur zu etablieren?

Wie schon am Anfang des Artikels angemerkt, ist Kulturveränderung immer ein Prozess und braucht seine Zeit. Hilfreich ist es bei solchen Projekten, sich professionell begleiten zu lassen. Wenn das Thema für euch spannend ist, schaut doch mal in meine Angebote für Organisationen oder sprecht mich an – gemeinsam besprechen wir dann, was ihr konkret braucht.

Für den Moment aber gibt’s noch ein paar Impulse, wie du noch heute damit beginnen kannst, für eine konstruktive Fehlerkultur in deiner Organisation einzustehen:

  • Die eigene Haltung: Wie immer bei Veränderungen fängt es bei einem selbst an. Reflektiere doch mal:
    • Wie reagierst du, wenn du selbst einen Fehler machst? Wie reagierst du, wenn andere einen Fehler machen?
    • Und entspricht das dem, wie du reagieren möchtest? Oder willst du daran etwas verändern?
  • Vorbildfunktion: Du hast deinen eigenen Umgang mit eigenen und fremden Fehlern reflektiert und gegebenenfalls angepasst? Dann ist es jetzt an der Zeit, als gutes Vorbild voranzugehen. Zeig deinen Kolleg:innen, wie sich eine positive Haltung zu Fehlern auswirkt und sprich mit ihnen darüber.
  • Darüber sprechen: Macht Erfolge eurer (neuen) Fehlerkultur transparent! Nehmt euch beispielsweise einmal im Monat Zeit, um die Fehler aus den letzten vier Wochen zu benennen und dabei einen Fokus darauf zu legen, was daraus Gutes entstanden ist.
  • Das Zauberwort für die Etablierung einer konstruktiven Fehlerkultur lautet „Psychologische Sicherheit“: Menschen trauen sich, zu ihren Fehlern zu stehen und andere auf ihre Fehler hinzuweisen, wenn sie sie sich sicher sind, dass dieses Verhalten keine negativen Konsequenzen hat. Zu diesem Konzept (geprägt von Amy C. Edmondson) wird es noch einen detaillierten Blog-Artikel geben.

Abschließend ist mir eine Sache noch wichtig: Natürlich gibt es Dinge, die sanktioniert werden müssen. Das sind dann aber in der Regel keine Fehler, sondern Fehlverhalten. Dazu gehört beispielsweise, wenn jemand einen Fehler verschleiern will 😉

Und: Eine weitere Unterscheidung ist die zwischen Fehlerkultur und Fehlermanagement. Eine konstruktive Fehlerkultur schließt nämlich nicht aus, dass Fehler behoben werden und dafür gesorgt wird, dass sie zukünftig möglichst nicht mehr passieren.

Du möchtest zu einem meiner Themen mit mir in den Austausch kommen? Dann schreib mir gern eine Mail an hallo@gutes-arbeiten.de. Ich freu mich, von dir zu hören!

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